Frauen - Medien - Macht


CYBERSPACE - GESCHLECHTERKONSTRUKTIONEN IN DER VIRTUELLEN WELT

Marion Windhager



ZunŠchst ging es in unseren Debatten, festzustellen, wo im Cyberspace Geschlecht konstruiert wird und wie es konstruiert wird. In diese Auseinandersetzungen wurden Texte von Angerer (Beziehungsgeflechte in einer telematischen Kultur), Turkle (Life on the screen) und Mudding (Social Phenomena in Text-Based Virtual Realities) miteinbezogen, die sich eingehend mit "mudding" beschŠftigt haben. Laut ihren Feststellungen ist die Motivation, ein "MUDer" zu sein, individuell sehr unterschiedlich. Ist es fuer die einen pure Neugierde oder Langeweile, die sie zu diesem Spiel bringt, ist es fuer die anderen gezielte Suche nach einer anderen (vielleicht besseren) Welt.

Chancen im Cyberspace


Die Teilnahme an einem mud kann dazu dienen, unbewŠltigte Konflikte zu loesen bzw. besteht die Moeglichkeit diese mitzuteilen. Ebenso besteht die Moeglichkeit an sich selbst, seinen Charakterzuegen zu arbeiten. Zum Beispiel antwortete ein mud-Spieler auf die Frage nach der Motivation zum Spiel, es erlaube ihm einfach eine bessere Vision von sich selbst zu sein. Andere wiederum spielen die Personen, die sie sein wollen oder die sie sind.

Muds bergen in sich die Moeglichkeit, Dinge zu tun, die im wahren Leben nicht realisierbar sind, zum Beispiel wegen koerperlicher Behinderung oder sozialer Sanktionsgefahr. Ein Rollstuhlfahrer kann beispielsweise in virtuellen Landschaften umhergehen oder auf Berge klettern oder aber auch ganz normale Beziehungen zu den anderen Teilnehmern haben, denn er braucht sich nicht zu offenbaren, keiner kann ihn in seiner realen Koerperlichkeit sehen. Auf der anderen Seite ist es ebenso moeglich Mitspieler durch Beleidigungen oder eindeutigen Bemerkungen zu belŠstigen, ohne dass ernsthafte Konsequenzen drohen wuerden. Nichts ist strafbar in der virtuellen Welt, Grenzueberschreitung der moralischen Art ist der realen Welt zugeordnet.

Ein Thema wird vor allem im Zusammenhang mit Cyberspace diskutiert: Die Moeglichkeit "gender swapping" zu betreiben. Das immerwŠhrende Suchen nach Verstehen und Einfuehlen in die Welt des anderen Geschlechts, in die tieferen Strukturen von Rollenkonstruktionen einzutauchen, ist durch das Erleben des Anderen im Cyberspace moeglich. Ob sich Vermischungen, VerstŠrkungen oder Relativierungen der Rollenstereotypen dadurch ergeben werden, sei dahingestellt. Die Chance nach neuen Erfahrungen im Spiel, die sich auch auf die reale Welt uebertragen koennte, bleibt bestehen.

Muds bieten die Moeglichkeit, sich selbst in spielerischer Form "neu" zu entdecken, Eigenschaften auszuprobieren, die in der realen Welt ausgeklammert werden. Es besteht die Chance Teile, Aspekte des eigenen Charakters auszuleben. Dadurch, dass ich sein kann, wer oder was ich will, darf ich meiner Phantasie freien Lauf lassen. Ich kann in Rollen schluepfen, die mir im wahren Leben nicht zur Verfuegung stehen, indem ich beispielweise die Rolle meines Freundes uebernehme und versuche, dem Original sehr nahe zu kommen. Dabei stehen mir die verschiedensten Verhaltensweisen zur Verfuegung, ohne Konsequenzen, Sanktionen befuerchten zu muessen. Die Moeglichkeit des Ausprobierens von verschiedenen Verhaltensweisen kann dahingehend interessant sein, dass neues Verhalten in verschiedenen Situationen erprobt und auch in der realen Welt verstŠrkt eingenommen werden kann.

Es besteht damit die Moeglichkeit durch die virtuelle Welt mehr Einblick in die RealitŠt zu bekommen. Das trifft insbesondere fuer Geschlechterbeziehungen zu. Durch Geschlechtertausch besteht die Moeglichkeit, an Kommunikationsformen und -stilen teilzuhaben, zu denen man/frau im realen Leben sehr schwer Zugang hat. Durch das viruelle Spiel koennen angenommene geschlechtsspezifische Unterschiede ausgelebt werden, ganz konkret: MŠnner koennen als virtuelle Frau Verhaltensformen begegnen, die ihnen reale Unterdrueckungsmechanismen deutlich machen, die ihnen mehr Einblick in den alltŠglichen Geschlechterumgang geben und sie in diesem Zusammenhang sensibiliseren. Ob diese Chance tatsŠchlich wahrgenommen oder ob die traditionellen Muster im Cyberspace dann doch wieder eingenommen werden, wird sich erst die nŠchsten Jahre deutlicher zeigen.


Wie wird Geschlecht im Cyberspace konstruiert?



Bisher wurde Geschlecht aufgrund biologischer Unterscheidbarkeit und die daran sozial konstruierten Verhaltensmerkmalen und Rollenzuschreibungen definiert. Da diese Kriterien im Cyberspace nicht mehr erfuellt werden muessen, ergeben sich neue Optionen.
Einerseits nutzen einige die Moeglichkeit, die Kategorie Geschlecht aufgrund neuer Erfahrungen ganz neu zu definieren. Andererseits besteht die "mainstream-orientierte" Tendenz, alte Geschlechterrollen und -muster in das neue Medium hinueber zu retten, um einen wohlbekannten Anhaltspunkt behalten zu koennen. Viele gehen mit traditionellen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel und projizieren diese auf die anderen Teilnehmer.

Die andere Moeglichkeit besteht in einem gŠnzlichen "Neuerfahren" von sog. Geschlechterstereotypen und deren Kuenstlichkeit. Hier besteht die Chance einer Bewusstseinserweiterung in Richtung egalitŠrer Gesellschaft, da soziale Barrieren wie Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Religion spielend ueberwunden werden koennen.
Die Entwicklung der menschlichen Arbeit in Richtung Verschiebung der HauptaktivitŠten mittels Denkprozesse, scheint sich dahingehend zu vollziehen, dass der Mensch ein Losloesen von seinem Koerper wuenscht. Das bedeutet, dass der Koerper zunehmens als IdentitŠtsstifter ausgedient hat und nur mehr als Ort des Sinnerlebens angesehen wird. Er ist sozusagen stillgelegt. Das wuerde aber gleichzeitig heissen, dass speziell sichtbare Unterschiede zwischen Menschen, die bisher so weitreichende Konsequenzen beinhalten, nicht mehr wichtig sind. Ob ein Mensch schoen oder hŠsslich ist, oder er eine dunkle Hautfarbe hat oder ob mŠnnlich weiblich, spielt dann keine Rolle mehr. In unserem Alltagsleben gilt dies nach wie vor, im Cyberspace gibt es aber schon gegenlŠufige Tendenzen in diese Richtung. Im Idealfall kann die virtuelle Welt dazu dienen, den Menschen bewusst zu machen, wie konstruiert unsere Welt ist.


Fazit


1. Cyberspace hebt die urspruenglichen Grenzen, nŠmlich koerperliche Barrieren, auf.

2. Koerperlichkeit und IdentitŠt beduerfen einer neuen brauchbaren Definition, denn der Koerper als sinnstiftende IdentitŠt hat ausgedient.

3. Andererseits treten duale traditionelle Geschlechterbilder in verstŠrkter Form im virtuellen Raum auf, als quasi letzte Orientierungsmoeglichkeit in einer total fremden Welt. Beim Eintritt in die virtuelle Welt vollzieht sich der Prozess der Entkoerperlichung, um dann in den Prozess der Wiederverkoerperung ueberzugehen.

4. RealitŠt wird neu definiert, denn die klassischen Dichotomien sind im Begriff aufgeloest zu werden. Dadurch besteht die Moeglichkeit, fuer die Geschlechterthematik einen egalitŠren Ansatz zu finden als es bisher der Fall war.

5. Die Kreation des Cyborg steht fuer eine Welt nach den Geschlechtern, fuer eine Welt, in der sich Geschlechter-IdentitŠten nicht mehr unbedingt auf diejenige der HeterosexualitŠt als gesellschaftlich anerkannte reduzieren, sondern andere Formen zu ermoeglichen.


Literatur

Angerer, Marie-Luise (1993): The Pleasure of the Interface. Beziehungsgeflechte in einer telematischen Kultur. In: Das Argument 35 Jg., Heft 5, S 737-748

Turkle, Sherry (1995): Life on the screen. Identity in the Age of the Internet. New York/London: Simon & Schuster

Mikos, Lothar (1994): Zur PopularitŠt von Cyberspace. In: Fassler, Manfred/Halbach, Wulf (Hg.): Cyberspace. Gemeinschaften, Virtuelle Kolonien, Oeffentlichkeit. Muenchen: Wilhelm Fink Verlag, S 185-206