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MUDS ALS IDENTITŠTSWORKSHOP UND PSYCHOTHERAPIE?

Sabine Boettger



Gender swapping is an extreme example of a fundamental fact: the network is in the process of changing not just how we work, but how we think of ourselves - and ultimately, who we are.

( BRUCKMAN 1993)



1. MUDs - Multi-User-Dungeons


Der Name MUD wurde von einem face-to-face Rollenspiel namens Dungeons and Dragons abgeleitet, welches in den 70er Jahren entstand. Dieses Spiel besteht aus einem Spielleiter, der eine fiktive Welt erschafft, in der die Mitspieler selbst erdachte PersonŠ annehmen, die in dieser Spielwelt vorgegebene Abenteuer bestehen oder bestimmte Aufgaben loesen muessen. In Anlehnung an dieses Spiel entstand das Computerspiel Adventure mit Šhnlichen Regeln.

Der Begriff dungeon wurde dabei von der Computerkultur uebernommen und bezeichnet einen virtuellen Raum. Als virtuelle RŠume entstanden, in denen viele Computerbenutzer miteinander spielen, bzw. kommunizieren konnten, wurden diese als Multi - User - Dungeons bezeichnet.

Der groesste Teil der MUDs besteht aus auf Text basierenden sozialen, virtuellen Welten. Es existieren zwei Basistypen von MUDs: 1. Abenteuer - MUDs, die sich stark an das Originalspiel Dungeons and Dragons anlehnen und 2. die Social MUDs, in denen man seiner Phantasie freien Lauf lassen und spielen kann, was einem in den Sinn kommt. Hier steht die Interaktion mit anderen Teilnehmern im Vordergrund ( TURKLE 1995, S. 180 ff).

MUDs dienen im folgenden als ein Beispiel fuer elektronische Kommunikation. Die Frage, inwieweit MUDs als IdentitŠtsworkshop oder gar als eine Art Psychotherapie dienen koennen, kann deshalb ebenso auf andere Formen elektronischer Interaktion uebertragen werden.



2. Rollenspiel und IdentitŠt



Spiele, u.a .auch das Rollenspiel, sind schon immer ein bedeutender Aspekt unserer individuellen Bemuehungen gewesen, eine eigene IdentitŠt aufzubauen. Das Rollenspiel bietet sich hierbei auch als Moeglichkeit an, um an wichtigen, persoenlichen Themen zu arbeiten (vgl. Psychodrama).

Im Gegensatz zu face-to-face Rollenspielen kann der Spieler in den MUDs mehrere parallele IdentitŠten annehmen. Der Vorteil dabei ist, dass durch die Schaffung verschiedener PersonŠ unterschiedliche Verhaltensweisen gleichzeitig ausprobiert werden koennen und anhand kontrolliertem Experimentierens gefahrlos ausgetestet werden kann, welche Konsequenzen diese Verhaltensweisen nach sich ziehen. Die AnonymitŠt der MUDs und der jederzeit moegliche Ausstieg aus dem Spiel erleichtern hierbei das freie Experimentieren (TURKLE 1995, S.186 ff).

Ein weiterer Vorteil, den die MUDs, bzw. elektronische Kommunikation generell bietet, ist das hinterlassen einer elektronischen Spur.

The format of MUDs, electronic mail, computer conferences, or bulletin boards force one to recognize a highly differentiated (and not always likable) virtual persona, because that persona leaves an electronic trace. In other words, the presence of a record that you can scroll through again and again may alert you to how persistent are your foibles or defensive reactions. ( TURKLE 1995, S.205 )

Die Schaffung fiktiver PersonŠ in MUDs bietet somit nicht nur die Moeglichkeit, neue Verhaltensweisen und Charakterzuege auszuprobieren, sondern erlaubt dem Teilnehmer auch, verschiedene Aspekte seines Selbst anhand unterschiedlicher PersonŠ in der AnonymitŠt des Spiels auszuleben. Das Vorhandensein von sogenannten Logs, d.h. elektronische Aufzeichnungen der Interaktion, ermoeglicht und erleichtert hierbei dem Spieler die Analyse seiner Kommunikation, wenn er dazu bereit ist.
Darueberhinaus erleichtert das elektronische Rollenspiel das Erleben bestimmter Erfahrungen, die im realen Leben schwerer zu verwirklichen wŠren, wie z.B. Gender-Switch. Gender strukturiert menschliche Kommunikation und Beziehungen in solch grundlegender Weise, dass seine Auswirkungen oft nur schwer auszumachen sind. Innerhalb elektronischer Kommunikation koennen diese sehr viel offensichtlicher werden. Ein mŠnnlicher Teilnehmer in MUDs beschreibt seine Erfahrung folgendermassen:

Back when I had time for MUD, I, too, played female characters. I found it extraordinarily interesting. It gave me a slightly more concrete understanding of why some women say, men suck. It was both amusing and disturbing. ( BRUCKMAN 1993 )



3. MUDS als Psychotherapieersatz ?



MUDS koennen fuer viele Menschen die Bedeutung eines safe place, eines sicheren Ortes, annehmen, an dem sie ihre Probleme, Šngste und Wut frei aussprechen und zugeben koennen. Die AnonymitŠt des Computers und die Moeglichkeit, sich jederzeit wieder auszuloggen, kann hierbei der Offenheit, ueber seine Probleme zu sprechen, foerderlich sein.

Im Ventilationsmodel der Psychotherapie wird diese ebenfalls als sicherer Ort betrachtet, an dem Menschen ihre Probleme frei aussprechen koennen. Bezueglich des Vorhandenseins eines sicheren Ortes bieten MUDs und Psychotherapie gleiche Voraussetzungen. Eine Psychotherapie sollte aber mehr sein als ein sicherer Ort, um seine Probleme auszusprechen. Ein weiterer Schritt muss die Arbeit an diesen darstellen. Die Arbeit erfolgt im besten Fall mit Hilfe des Psychotherapeuten. Sie beinhaltet eine besondere Beziehung des Patienten zum Therapeut. Innerhalb dieser Beziehung koennen Elemente aus der Vergangenheit auf die aktuelle Beziehung zum Therapeuten projeziert werden und mit dessen Hilfe neue Wege oder Verhaltensmuster erarbeitet und entwickelt werden, um damit umzugehen. Psychotherapie darf also nicht nur ein safe place sein, sondern sollte auch als reworking space dienen.

Gleiches gilt fuer MUDs, wenn man davon ausgeht, dass sie in psychotherapeutischer Form nutzbar sind. Auch sie sollten und koennen als Ort angesehen werden, an dem man bestimmte Probleme loswerden und ueberarbeiten kann. Fuer die Arbeit an den Problemen, dem reworking, ist der Teilnehmer, im Gegensatz zur Psychotherapie, sehr viel mehr auf sich selbst angewiesen und auf seine FŠhigkeit, innezuhalten und seine ueblichen Verhaltensweisen in neuem Licht zu sehen ( TURKLE 1995, S.199 ff ).

If you come to the games with a self that is healthy enough to be able to grow from relationships, MUDs can be very good. If not, you can be in for trouble. ( TURKLE 1995, S. 205 )



4. Neue Kommunikationstechnologien als Hilfe fuer ein besseres Ego?



Die Frage nach der eigenen IdentitŠt und was diese ausmacht, beschŠftigt die Menschheit nicht erst seit Aufkommen der neuen Kommunikationstechnologien.

Tatsache ist, dass Formen elektronischer Kommunikation, wie z.B. MUDs, das Experimentieren mit neuen Rollen, Verhaltensweisen, bzw. das Ausleben verschiedener Aspekte des Selbst erleichtern. Da dieses Experimentieren mit der eigenen IdentitŠt und dem Selbst in der AnonymitŠt des Cyberspace stattfindet und jederzeit die Moeglichkeit besteht, sich auszuloggen, sobald die Interaktion oder Erfahrung zu intensiv wird, ist die Hemmschwelle, sich zu oeffnen und verschiedene Dinge auszuprobieren, sicherlich herabgesetzt.

Die Frage, die sich dabei allerdings stellt ist, ob wirklich jeder, der an MUDs oder sonstiger elektronischer Kommunikation teilnimmt, oben genannte Moeglichkeiten nutzen moechte,bzw. nutzen kann? Um sich selbst und seine IdentitŠt in Frage zu stellen, bzw. zu ueberdenken, ist meines Erachtens eine fortgeschrittene Selbstreflexion die Voraussetzung dazu. Abgesehen natuerlich von der inneren Bereitschaft, die eigene IdentitŠt zu reflektieren. Eine weitere Problematik stellt die FŠhigkeit des Einzelnen dar, mit den gewonnen Erkenntnissen auch umzugehen, sie z.B. in das reale Leben umzusetzen.

Schon lange vor der Existenz neuer Kommunikationstechnologien standen dem Menschen Moeglichkeiten zur Verfuegung, seine IdentitŠt zu erforschen und die verschiedenen Aspekte seines Selbst zu erkennen. Es war vielleicht nicht ganz so einfach wie im Zeitalter des Cyberspace. Wichtig erscheint mir aber in beiden FŠllen die Bereitschaft, intellektuelle und emotionalle FŠhigkeit des Einzelnen, sich diesem Prozess auszusetzen. Ohne diese Bereitschaft und FŠhigkeiten koennen auch die besten Technologien keinen anderen Menschen aus mir machen.

MUDs provide rich spaces for both acting out and working through. There are genuine possibilities for change, and there is room for unproductive repetition. The outcome depends on the emotional challenges the players face and the emotional resources they bring to the game. MUDs can provide occasions for personal growth and change, but not for everyone and not in every circumstance. (TURKLE 1995, S. 200 )



Literatur


Bruckman, Amy S.: Gender Swapping on the Internet. Presented at The Internet Society, San Fransisco, CA, August 1993.

http://media.mit.edu/pub/asb/papers/gender-swapping.txt

Turkle, Sherry: Life on the sreen. Identity in the age of the Internet. New York 1995.