Frauen - Medien - Macht


MYTHOS, KONTROLLE, FETISCH, MACHT: EIN RESUEMEE

Ulli Weish




Die häufigsten inhaltlichen Auseinandersetzungen über computerisierte Techniksysteme finden in zwei dichotomen Formen statt: Die Debatte schwankt von Technikeuphorie, Überhöhung der realen Möglichkeiten unter Ausblendung von gesellschaftlichen Zwängen, Normen und ökonomischen Gegebenheiten; oder sie verharrt in abwehrender Technikkritik, wo Chancen verleugnet, potenzielle Gefahren und strukturielle Abhängigkeiten im Vordergrund stehen, ohne Möglichkeiten zur Veränderung zu suchen oder anzustreben.

In diesem Zusammenhang ist der Diskurs eingebettet, in diesem Spannungsfeld findet auch die Auseinandersetzung in Fachgruppen statt.

Die frauenspezifische Lehrveranstaltung an der Publizistik Wien hatte demnach folgende Ziele:
Im Vordergrund stand einerseits die Reflexion von eigenem Erleben und Wahrnehmen unter Berücksichtigung der eigenen Sozialisation, die eingebettet im sozialen und gesellschaftlichen Diskurs zu sehen ist.
Andererseits unterstützten wir die Analyse mit vorhandener Fachliteratur, die vor allem in der anglo-amerikanischen Kommunikationswissenschaft rasant voranschreitet und bisher kaum publizistikwissenschaftliches Echo im deutschsprachigen Raum erfahren hat.
Die Auseinandersetzung mit den Themen Geschlechterkonstruktion im Netz, geschlechtsspezifische Aneignung von Technologie bzw. geschlechtsspezifisches Nutzungsverhalten, Pornographie im Internet, Computerspiele, feministische Netzwerke oder Frauennetzwerke standen unter den Vorzeichen, die dichotomen Gedankenbahnen zu verlassen.

Folgende Diskussionsergebnisse der Frauengruppe sollen nun abschließend skizziert werden:


1. Problematik des "Technikmythos"


Trotz Entlarvung des gängigen Klischees, Frauen hätten einen schwierigeren Umgang/Zugang mit moderner Medienkultur, mit der Computertechnologie im Speziellen, mit der Technik und der Technologie im Allgemeinen, fanden sich einige unter uns, die offen ihre Unsicherheiten, ihre Hemmungen am PC beschrieben. Sind es Probleme des Einstiegs in eine moderne Technik, die unterschiedliche Emotionen und Strategien des Lernens produzieren, die sich aufgrund von unterschiedlichen Erziehungsstilen und Lebensbiographien eben auch in "typisch weiblichen" äußern (offen ausformulierte Unsicherheit, Angst vorm "Versagen", Ungeduld; abhängig von "Hilfe" von außen)? Die Annahme liegt nahe, daß Frauen eher bereit sind oder eher das Verlangen nach offener Darlegung von Schwierigkeiten im Umgang mit Computer haben. Damit scheint es, daß wir einen Teil des gängigen Technikklischees in uns selbst fortschreiben, während in männliche User eine Fülle an Kompetenzvorsprünge und spielerische Wendigkeit projeziert wird.

Dieser gegenseitig verlaufende Projektionsvorgang, der gesellschaftlich determiniert ist, dient bei genauerer Betrachtung und gesellschaftspolitischer, historischer Analyse nebenbei dazu, Frauen aus traditionell männlichen Wirkungsbereichen auszuschließen, wenngleich diese Mechanismen subtil wirken. Der produzierte Mythos von männlicher Technikintelligenz und weiblicher Technikablehnung setzt sich in uns selbst teilweise fort, wird "self-fulfilling prophecy", da der Erfolgsdruck oftmals als innere Last empfunden wird, Vermeidungsstrategien, Berührungsängste aufkeimen läßt und die Impulse der Neugier, des unbeschwerten Entdeckens von neuen Möglichkeiten, Arbeitsweisen und Themenbereichen oftmals unterdrückte bleiben, nicht ausgelebt werden.

Um diese Rollenmuster zu durchbrechen, gilt es einerseits für Frauen Erfolgserlebnisse am PC selbst bewußter zu erleben, Kompetenz schrittweise zu erproben und zu erlernen, aber auch männliche Unsicherheiten mit der modernen Computertechnologie zu registrieren, um ein realistischeres Bild von der Aneignung von Know-how zu erwerben, um nicht in kontraproduktiver und traditioneller Selbstverunsicherung zu verharren. Ob das Bewußtsein von Anpassung an männliche Vorurteile reicht um eingefahrene Rollenbilder zu verändern, bleibt dahingestellt. Auf die Problematik der Macht in der Produktion, auf die männliche Prägung der Technologie wird an anderer Stelle nochmals eingegangen.
Spezielle Förderungsmaßnahmen und Weiterbildungsmöglichkeiten für Frauen stellen jedoch sinnvolle Hilfe dar, aus diesem Kreislauf auszusteigen und Kompetenz zu erlangen.


2. Problem der Überschaubarkeit und Kontrolle


Folgende Alltagserfahrung wurde geteilt: Das "Ding an sich" soll verstanden und kontrolliert werden um innere Hemmungen und Unsicherheiten zu verkleinern. Tatsache ist aber, daß das "Ding an sich", der Computer, computerisierte Techniksysteme nur in Teilbereichen und nur in zeitlicher Begrenztheit erfaßbar sind. Der ständige Wandel, die permantente Erneuerung (beispielsweise die Software betreffend oder den ständig wachsenden Internetinhalt) erfordert ständiges Weiterlernen. Der bereits beschriebene spielerische Umgang, das Ausprobieren von Neuem ist wesentlicher Garant dafür, nicht auf einer Entwicklungsstufe stehenzubleiben. Die Tatsache, daß Frauen eher zielgerichtet mit der Computertechnologie umgehen und diese eher als Werkzeug für ihre Arbeit ansehen, gestaltet sich für diesen Zusammenhang schwierig. Der Faktor Zeit als Begrenzung fürs permanente Dranbleiben und Erlernen von Neuem kann sowohl als Vermeidungsstrategie und Rückzug in traditionell weibliche Wirkungsbereiche gesehen werden, oder aber als realer Hemmfaktor weiblicher Doppel- oder Dreifachbelastung. Beide Ebenen sind relevant, doch verallgemeinernd kaum klärbar, da dies äußerst unscharf und individuell unterschiedlich verläuft.

Warum Frauen in unserer Arbeitsgruppe und darüber hinaus Unbehagen mit der ständigen Veränderung in der Computertechnologie empfinden, kann auch dahingehend erklärt werden, daß sich "weibliches" Denken eher in vernetzten Zusammenhängen, in grundlegendem Erfassen eines Überblicks als in detailliertem Spezialwissen versteht. Damit werden die Probleme der mangelnden Überschaubarkeit und der Kontrolle zwar nachvollziehbar, aber nicht gelöst.


3. Kommunikationstechnologie als Fetisch


Die studentischen Diskussionen widmeten sich ebenso der prestigeträchtigen Seite der Computertechnologie. Das technisch Machbare, das neu Produzierte übt auf unsere schnellebige Konsumgesellschaft ungeheure Phaszination aus. Das Hinterfragen nach dem Sinn und Zweck der Produkte oder der technischen Möglichkeiten hinkt dem bereits Geschaffenem hinterher. Damit bleibt die technikkritische Analyse auf prospektiver Ebene hängen, mit geringer Relevanz und kulturpessimistischer Stigmatisierung ausgestattet.
Moderne Kommunikationstechnologien sind mit enormen Strukturmaßnahmen und Ressourcenaufwand verbunden, "ob das Potential, das die neuen Technologien bieten, tatsächlich so revolutionär sein wird, wie so häufig angekündigt, oder ob die Arbeitsteilungen zwischen Frauen und Männern, sog. Erster und Dritter Welt nicht doch wieder in ausgesprochen traditioneller Weise, aber schärfer, stattfinden werden, muß und wird Thema einer feministischen Analyse sein." (Helga Dickel, Computervermittelte Kommunikation; S 114)


4. Problem der Macht


Die computervermittelte Kommunikation ist nicht unabhängig von sozialen, ökonomischen und geschlechtshierarchischen Bedingungen und Machtverhältnisse zu sehen. Die technische Produktion, die Bereitstellung von Ressourcen und die inhaltliche aktive Gestaltung geht fast ausschließlich von Männern aus. Frauen haben real kaum gestalterische Macht in diesem Bereich, sie stehen meist am Ende einer langen Kette als Verbraucherinnen, als Benützerinnen. Ob mit einer Mehr-Beteiligung von Fachfrauen sich grundlegendes im Inhalt, in der Technologie an sich, in der Form und in der Umsetzung und im Zugang ändert, bleibt im Bereich der Phantasie. Die Utopie der Veränderung bleibt damit solange aufrecht, bis Frauen in gestalterische oder entscheidungsrelevante Positionen gelangen und bis vergleichsweise ähnlich viele Frauen wie Männer im Netz kommunizieren. Wenn dies eingelöst sein wird, wird erst ersichtlich, ob Frauen tatsächlich Technologie anders gestalten und formen würden, oder ob dies ein Mythos der Frauenbewegung ist, aus der patriarchalen Unterdrückung als tröstende Tugend geboren.

Abschließend ist festzuhalten, daß die studentische Frauengruppe eine geeignete Möglichkeit war, technologische Hemmungen abzubauen, ins Medium hineinzuwachsen, Neugier und Motivation zu entwickeln, Projekte zu starten, aber auch den herrschenden Status quo zu reflektieren und zu kritisieren. Die Frauengruppe war wesentlich um individuelle Probleme und Kritikpunkte breiter zu betrachten und ähnliche Verhaltensmuster, ähnliche Anliegen und Interessen zu erkennen und wahrzunehmen.