Frauen und Kommunikationstechnologien


ZWEI FEMINISTINNEN - ZWEI VISIONEN

Gertraud Kohlbacher




1. Einleitung:


Die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und die Entstehung einer gewaltigen Industrie dahinter, beeinflußt nicht nur das wirtschaftliche und kulturelle Geschehen im industrialisierten Westen, sondern auch die Länder der Dritten Welt, bzw. die ganze geopolitische Ordnung.
Das Projekt der weltweiten Vernetzung sorgt für Aufregung auf den internationalen Marktplätzen, in Regierungsgremien und in den Medien und wirkt bis in die einzelnen Haushalte. Viele Wissenschaftsdisziplinen haben sich dieses Themas angenommen, die Kommunikationswissenschaft ist nur eine davon.

Als Studentin der Publizistik und Kommunikationswissenschaft und als Frau in einer westlichen humanistischen Gesellschaft, interessieren mich in diesem Zusammenhang vorallem die möglichen Auswirkungen und Implikationen der neuen Technologien auf die wirtschaftliche und politische Situation von Frauen, und die Möglichkeit von Frauen, diese Technologien zu ihren Gunsten und zur Erstarkung von Frauennetzwerken zu nutzen.

In habe mich mit den Entwürfen zweier Feministinnen auseinandergesetzt, die die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien als Möglichkeit grundlegender gesellschaftlicher Umformungen sehen, wobei dieser Wandel zugunsten von Frauen ausgehen könnte.
Es sind sehr unterschiedliche Zugänge zu diesem Thema, da beide Autorinnen völlig unterschiedliche theoretische Grundlagen verwenden und daraus ihre spezifische Argumentationslinie entwickeln.

In beiden Ansätzen wird die Situation der Frauen in einer sich durch neue Technologien massiv verändernden Welt beschrieben und beide Autorinnen entdecken in diesem Wandel die Möglichkeit der Überwindung des westlichen patriarchalen Humanismus.
Der erste Text: "Ein Manifest für Cyborgs", stammt von Donna Haraway, einer Biologin und Feministin aus den USA. Der Artikel erschien das erste Mal schon 1985 in den USA, ist in der deutschen Fassung allerdings erst seit 1995 erhältlich.(Haraway 1995)
Der zweite Ansatz kommt von Sadie Plant, Cyberfeministin und Forscherin zum Thema 'cybernetic cultures' an der Universität Warwick, Großbritannien. In meiner Darstellung ihres Ansatzes beziehe ich mich auf die folgenden zwei Texte: "On the Matrix: Cyberfeminist Simulations" (Plant 1996) und "The Future Looms: Weaving Women and Cybernetics" (Plant 1995).

In diesem Abstract möchte ich mich darauf beschränken, die wichtigsten Thesen und deren Herleitung darzustellen. Weiters möchte ich versuchen, Vergleiche zwischen den beiden Ansätzen anzustellen, um eventuelle Gemeinsamkeiten und Divergenzen herauszuarbeiten und auf problematische Darstellungen hinzuweisen.
Der folgende Text beinhaltet meine eigene Interpretation und Kommentierung. Für das Verständnis und weitere Diskussion ist es ratsam die Originaltexte zu kennen.


2. Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs

Ironie: Eine mögliche Strategie?


Haraway's Ansatz und Thesen gehen vom Grundsatz der Konstruktion aus. Menschen sind Produkte von historischen, sozialen und kulturellen Diskursen, aber auch dessen Produzenten. In diesem Sinne ist es möglich, Konzeptionen von Selbst, Umwelt und Welt im allgemeinen zu gestalten.
Für Frauen ist diese Möglichkeit relativ neu und die Vielzahl feministischer Ansätze, die ständigen Versuche Theorien zu ändern und und verbessern, zeugen von den Schwierigkeiten sich von den Strukturen und Logiken eines über jahrhunderte andauernden patriarchalen Diskurses zu befreien.
Haraway ist sich dieser Problematik durchaus bewußt, darum gerade wählt sie die Mittel der Ironie und der Blasphemie. Die ironische Lesart läßt Widersprüche zu, Inhalte sind wahr und auch nicht wahr, abhängig von welcher Perspektive man ausgeht. Haraway plädiert dafür, alle möglichen Perspektiven im Auge zu behalten.
Das Bild der Cyborg scheint im ersten Augenblick radikal und utopisch zu sein, wahrscheinlich weil wir mit diesem Begriff zuerst einmal Maschinenmenschen aus diversen Science Fiction Filmen verbinden, die sich vorallem durch ihre Rachlust, Stärke und Unverletzbarkeit auszeichnen.
Aber solche Cyborgs sind hier nicht gemeint, hier geht es um Menschen, die an den Grenzen leben und von davon gibt es bereits viele. Ich denke dabei vorallem an Frauen, die ihre traditionelle Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau an den Nagel hängen und versuchen, an den bereits bröckelnden Grenzen gesellschaftlicher Institutionen und Konventionen neue Lebensformen zu finden.
Grenzen überschreiten, an den Grenzen wohnen, gewohnte Behausungen verlassen bedeutet nicht nur mehr Freiheit und Flexibilität, sondern auch mehr Bedrohung und Unsicherheit, besonders wenn man darin noch nicht geübt ist. Mauern engen nicht nur ein, sie bieten auch Schutz und man kann sich anlehnen und an ihnen abstützen. Menschen, die an den Grenzen leben, kennen die Schwierigkeiten, die Auseinandersetzungen und Zweifel. Sie wissen, daß es oft ein schwerer Kampf ist. Gerade darum ist es wichtig, die Ironie aus Haraway's Ansatz mitzulesen und - Ironie sollte auch eine Strategie der Cyborg sein.
Es geht Haraway aber auch um andere Grenzen, z.B. jene zwischen Mensch und Tier, zwischen Organismus und Maschine. Sie plädiert für Lust auf technologisch vermittelte Geschicklichkeit. Maschinen sind keine eigenständigen Geschöpfe, die belebt oder beherrscht werden müssen.
" Die Maschinen sind wir, unsere Prozesse, ein Aspekt unserer Verkörperung. Wir können für Maschinen verantwortlich sein; sie beherrschen oder bedrohen uns nicht." (Haraway, 1995 S. 70)
Dieses Plädayer bedeutet die Auflösung des Dualismus Natur/Kultur, welcher ein grundlegender Bestandteil des patriarchalen Diskurses ist. Es richtet sich aber auch gegen so manche feministischen Ansätze, die eine deutliche Absage an die Technik formulieren und eine einseitige Verbundenheit von Frauen mit Natur behaupten. Diese Verbundenheit gibt es für Haraway nach beiden Seiden, zur Natur und zur Technik.

Die Cyborg, die als partiell, oppositionell, strategisch, auf keinen Fall unschuldig, kontaktsüchtig und genderlos beschrieben wird, ist das Selbst, welches Feministinnen kodieren müssen. Diese Identitätskonstruktion, ist aber nicht ausreichend im Kampf gegen die drohende Informatik der Herrschaft, wie Haraway die weltweite Kontrolle von Kommunikation, die Übersetzung von Welt in eine perfekte Sprache, nennt.
Es bedarf neuer politischer Instrumentarien, d.h. neue Verbindungen und Zusammenschlüsse, Vernetzungen über die Grenzen von Gender, Rasse und Klasse hinaus.

Die Globalisierung der Wirtschaft und die Entwicklung einer Hausarbeitsökonomie, d.h. die Verschachtelung von Körper, Familie, Industrie und Markt, erfordern neue weltweite Bündnisse von ArbeitnehmerInnen und sozialen Organisationen, damit Menschengruppen nicht untereinander ausgespielt werden können. In der Realisierung derartiger Bündnisse wird man mit großen Problemen fertig werden müssen. Die neuen Kommunikationstechnologien werden in diesem Prozeß eine große Rolle spielen und gleichzeitig auch Ungleichheiten perpetuieren oder produzieren, da in den meisten Dritte-Welt-Ländern die Leute keinen Zugang zu diesen Technologien haben.

Wer hat den Mut Grenzen zu überschreiten, die Geschlechterkategorien hinter sich zu lassen, sich mit Fremden zu verbünden, Kampfstrategien zu entwickeln, die Fähigkeit sowohl global als auch lokal zu denken und zu handeln, keine Lust darauf in überholten Organisationen und Institutionen zu erstarren - es müssen wohl Cyborgs sein!


3. Sadie Plant: On the Matrix: Cyberfeminist Simulations - The Future Looms: Weaving Women and Cybernetics

Neuer Materialismus versus Transzendenz


Plant geht von einem ganz anderen Bild aus. Die Welt, die Natur, die Menschen befinden sich in einem unaufhörlichen Prozeß. Die Grundlage ist Materie und die Vielzahl materieller Verbindungen, bzw. anders ausgedrückt die Dynamik der Materie. Materie wird als virtuelles System gesehen. Die Dynamik der Materie äußert sich in der Natur. Natur ist die konkrete Ausformung des dahinterstehenden virtuellen Systems Materie und verbirgt dieses gleichzeitig. Damit ist Natur eine Simulation. Die Dynamik der Materie regelt sich nach kybernetischen Systemen, dezentral organisiert und autogesteuert.

In Bezug auf die Materie ist die Menschheit gespalten. Die Frau ist, analog zur Natur, konkrete Ausformung virtueller Materialität. Innerhalb der Kultur des Patriarchats ist sie die Andere, Spiegel, Ware und Medium, besitzt kein Selbst und keine Identität im humanistischen Sinne. Ihr Selbst, ihre Identität ist fließend. Sie paßt sich an, sie verändert sich, sie ist Meisterin der Simulation.

Der Mann, Träger des Phallus, verleugnet seinen Ursprung aus der Materialität, er will sich von ihr befreien und versucht mittels Beherrschung und Unterdrückung von Natur und Materie, die Höhen der Transzendenz und des reinen Geistes zu erklimmen.
In seinem Bestreben die Zwänge der Materie zu überwinden ist er allerdings zu weit gegangen. Mit der Konstruktion des Computers und dessen Verbindung zu einem dezentral, autogesteuerten Netz, sorgt das männliche Subjekt für seine Auslöschung. Der Höhenflug des Mannes ist vorbei, er bewegt sich wieder zurück zu seinem materiellen Ursprung.
Nach Plant gibt es keine Transzendenz, es gibt nur die Dynamik der Materie und der können sich schließlich auch Männer nicht widersetzen.
Frauen werden zu Verbündeten von Computer und Computersystemen. Es ist ihr Medium, sie breiten sich darin aus, gehen Verbindungen ein und untergraben ihrerseits die Festungen des Patriarchats. Plant nennt es den Aufstand der Waren und Güter der patriarchalen Ökonomie, die nur so lange funktionieren konnte, solange sich alle Komponenten des Systems in ihre Rolle gefügt haben. Da nun einzelne Komponenten beginnen, sich in unabhängigen Netzwerken zusammenzuschließen, wird Kontrolle unmöglich und bricht das System zusammen.

In ihrer Darstellung des Prozesses verwendet sie schließlich auch den binären Code der Computertechnik als Metapher für die gesellschaftliche Umwandlung. Demnach sind Männer nach wie vor die Einsen und Frauen die Nullen. Die Eins ist in ihrer Existenz von der Null abhängig, aber die Verbindungen und Zusammenschlüsse von Nullen ergeben ganz andere Muster.

Die Geschichte des Patriarchats ist, nach Plant, eine Geschichte der Verleugnung und Unterdrückung von Materie und des Nichterkennens der dahinterliegenden Dynamik, die mit dem Zeitalter des Computers zu Ende gehen wird, weil hier neue materielle Verbindungen entstehen; erstens zwischen Computer, zweitens zwischen Computer und Frauen und drittens zwischen Frauen, wobei diese Verbindungen dezentrale, autogesteuerte Netze bilden, die das männliche Subjekt überflüssig machen und auflösen.



4. Ein Vergleich


Ich habe hier zwei Ansätze vorgestellt, welche beide mehr oder weniger abstrakt und utopieverdächtig sind. Neben ihrer grundsätzlichen Unterschiedlichkeit konnte ich doch auch einige Gemeinsamkeiten entdecken.
Beide Ansätze sind eine grundsätzliche Affirmation von Computertechnologie und ihrer Aneignung durch Frauen. Maschinen und Technologie sind nicht Feinde sondern Verbündete. Haraway bezeichnet sie als Aspekte der Verkörperung von Menschen, wobei Frauen sich diese lustvolle Annäherung an Maschinen erst erarbeiten müssen.
Plant spricht von Parallelen und Ähnlichkeiten von Computer und Frauen. Sie bezieht sich aber nicht auf Maschinen im allgemeinen, sondern auf den vernetzten, dezentral gesteuerten Computer.

Die weitgehend global organisierte Computerindustrie und Mikroelektronik erstarkt auch die Position der Frauen in unterentwickelten Ländern, indem diese zunehmend Zugang zur Information und auch zur Macht des Bezeichnens haben, darüber hinaus haben die neuen Kommunikationstechnologien, so beide Autorinnen, auch das Potential, das Patriarchat zu stürzen. Die Art und Weise wie und warum das geschehen soll, ist allerdings unterschiedlich.

Haraway sieht in den Entwicklungen und Forschungen der Kommunikationswissenschaften und Biotechnologie die Möglichkeit der Überwindung alteingesessener Dichotomien, die Herrschaft bis jetzt begründet und unterstützt haben.
Gleichzeitig birgt der Versuch der Übersetzung von Welt in eine allgemeine Sprache auch die Gefahr einer Informatik der Herrschaft in sich. Um zweiteres zu verhindern, gilt es Verantwortung für Zukunft zu übernehmen und sich für den Kampf zu rüsten. Konstruktion von Bewußtsein und Identität und von sozialen Beziehung sind dabei ihre Strategien. Haraway stellt sich hier allerdings die Frage, welche Identitäten nun zur Verfügung stehen, um den politischen Mythos eines "UNS" zu begründen, ohne zugleich totalitäre und universalistische Modelle zu konstruieren. Frauen sind zwar von Unterdrückung betroffen, aber in sehr unterschiedlicher Weise. Die Kategorie Frau ist keineswegs unschuldig.
Um diesem Dilemma zu entkommen, entwirft sie die Figur der Cyborg. Die Cyborg als post-gender Wesen, strategisch, oppositionell aber kontaktsüchtig, kann für neue weltweite Verbindungen sorgen, die den Kampf gegen die Informatik der Herrschaft führen werden.
Das Patriarchat wird also entweder von der Informatik der Herrschaft abgelöst, was eine Verschärfung der Unterdrückung zur Folge hätte, oder von BÜndnissen von Cyborgs untergraben, die aufgrund der Ablehnung der Erzählungen ursprünglicher Einheit und daraus entstehender Differenz Dichotomien auflösen und Vielheit und Partialität produzieren.

Für Plant scheint der Umsturz des Patriarchats eine logische Folge der Entwicklungen zu sein. Die Logik von kybernetischen Systemen beinhaltet die Reintegration ihrer Teile durch die Selbstorganisation und Autosteuerung. Männer haben sich zu weit von der Materie wegbewegt und werden jetzt von dieser wieder eingeholt. Frauen haben diesen Weg nie beschritten und brauchen sich in diesem Sinne nicht zu ändern. Das einzige was sie tun sollen, ist sich vernetzen und neue Verbindungen eingehen.
In ihrer Darstellung scheinen die Kategorien Mann und Frau, als Scheidungslinie zweier unterschiedlicher geschichtlicher Entwicklungen, schlüssig zu sein. Allerdings wird sich auch Plant mit der Kritik an diesen totalisierenden Kategorien und ihrer impliziten Schuld- und Unschuldszuschreibung auseinandersetzen müssen.

Mit dem Verschwinden des Patriarchats und der Auflösung sämtlicher Dichotomien, verschwinden auch die Kategorien und Vorstellungen von Gender, die jahrhundertelang als Gewißheit und Grundpfeiler der Identität galten. Bei Haraway löst sich die Vorstellung einer einheitlichen Identität in eine Vielheit partieller Identitäten auf, und Plant meint, daß es so etwas wie Identität nur im westlichen humanistischen Denken gibt, was in autogesteuerten, dezentralen Systemen völlig dysfunktional wäre. Hier gibt es nur Charaktäre, die man als fließend, sich stets ändernd und im Prozeß befindend, beschreiben könnte und die wohl kaum mit dem Begriff Identität zu beschreiben sind.

Das Verwischen und Überschreiten von Grenzen ist für beide Autorinnen ein großes Thema. Mit ihren Ansätzen, die als äußerst provokante und herausfordernde Beiträge zur feministischen Debatte zu sehen sind, gehen sie an die Grenzen gängiger Denk- und Vorstellungsmuster und teilweise auch darüber hinaus. Es wird spannend sein, die daraus fortführenden Diskussionen zu verfolgen, und noch ungemein aufregender, die realen Entwicklungen rund um die neuen Kommunikationstechnologien zu beobachten.



Literatur:

Haraway, Donna: Ein Manifest für Cyborgs. In: Haraway, Donna (Hg): Die Neuerfindung der Natur. Campus Verlag. Frankfurt 1995
Plant, Sadie: On the Matrix: Cyberfeminist Simulations. In: Shields, Rob (Hg): Cultures on the Internet. London 1996
Plant, Sadie: The Future Looms: Weaving Women and Cybernetics. In: Featherstone, Mike (Hg): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk. London 1995

Für Inhalt und Gestaltung verantwortlich: Johanna Dorer