Die Frage, die sich unsere Arbeitsgruppe gleich zu Anfang stellen mußte,
war die nach dem Angebot des Pornografischen im Internet, aber auch nach
jenen Bereichen, die sich mit dem Thema Sexualität beschäftigen.
„Sex in den Computernetzen. Das moderne Aufklärungsbuch." von
Jörg Schieb und Uwe Kauss hat uns dahingehend einen Überblick
über das derzeitige Angebot geliefert.
Für die Presse besitzt das Thema „Internet und Pornografie" natürlich
eine ungeheure Schlagkraft. Und so scheint es vielleicht mancher/m LeserIn
so, als würde mensch im Netz fortwährend über pornografisches
Material stolpern. Diesen Vorwurf weisen viele NetsurferInnen, die sich
mit hoher Frequenz im virtuellen Raum aufhalten, ab. Vielmehr sind sie
oft gegenteiliger Ansicht, nämlich daß der Anteil von Pornografie
im Netz im Vergleich zum Gesamtangebot eher gering ist und es auch großteils
eine Schwierigkeit ist, an das Gewünschte heranzukommen.
Nehmen wir zum Beispiel die weit über 10.000 Nachrichtenbereiche,
aus denen das Usenet besteht. Nur 70 davon beschäftigen sich intensiv
mit Liebe, Erotik und Pornografie. Unter diese nicht einmal 0,7 der gesamt
angebotenen Gruppen fallen auch reine Diskussionen und Foren mit beratendem
Charakter (Vgl. Schieb, 1996, S. 123). Obwohl vor einiger Zeit eine Studie
etwas anderes beweisen wollte: Ein Forscherteam der Carnegie Mellon Universität
(letztendlich bestand das Forscherteam nur aus einer Person) veröffentlichte
1995 unter anderem, daß 83,5 % der digitalisierten Bilder in den
Usenet Newsgroups pornografisch seien. Lange konnten sich die recherchierten
Daten nicht aufrecherhalten lassen. Donna L. Hoffman und Thomas P. Novak,
ein Professorenehepaar der Vanderbilt Universität und hervorragende
Kenner der Materie nahmen die Studie unter die Lupe und widerlegten sie.
Es gibt aber auch andere Stimmen und nicht nur von Presseseite, sondern
auch von NetzbewohnerInnen, die das pornografische Angebot stört.
Auf jeden Fall - und warum sollte es anders sein - spielt Pornografie und
Sexualität im Global Village eine Rolle, auch wenn nicht ganz klar
ist, in welchem quantitativen Ausmaß. Das Angebot reicht von privat
gestalteten Seiten über E-Zines (hierbei handelt es sich um nicht-kommerzielle
elektronische Magazine, die kostenlos im Netz verteilt werden. Nach Jörg
Schieb beschäftigen sich einige auch mit dem Thema Sex und versuchen
dies auf provokative oder intellektuelle Weise) und Newsgroups, aber natürlich
finden sich auch kommerzielle AnbieterInnen.
Da einige TeilnehmerInnen unseres Seminares vor allem im WWW und dem Usenet
ihre ersten Erfahrungen mit dem Internet gesammelt haben, möchten
wir in weiterer Folge etwas näher auf deren Angebot eingehen.
Im WWW fnden sich zum Thema „Sex":
Das World Wide Web ist ein Dienst von vielen anderen im Internet. Alle
Informationen jedoch, die verstreut auf Tausenden Servern gespeichert sind,
werden mittels des WWW miteinander verknüpft.
Auf der einen Seite ist zu bemerken, daß die privaten Seitenanbieter,
die Pornografisches ins Netz stellen, zurückgehen. Grund dafür
könnte die heftige Mediendiskussion - ausgehend von der USA und Kanada
- betreffend Kinderpornografie im Netz sein. Auf der anderen Seite bieten
jedoch immer mehr und mehr kommerzielle AnbieterInnen ihre Produkte und
Dienstleistungen an. Versandhäuser von Reizwäsche, Sex-Shops,
Videoversand etc. liegen nicht falsch, wenn sie zukünftig im Netz
eine optimale Werbe- und Verkaufsfläche sehen.
Auch im Usenet, dem weltweiten Diskussionsbereich des Internets,
findet Pornografie, Erotik und Sexualität entweder im Gespräch
darüber oder im Versenden von diversen Bildmaterial und Texten seinen
Platz.
In den meisten Newsgroups scheint es kein ausgewogenes Verhältnis
zwischen Frauen und Männern zu geben. Dies kann kaum verwundern und
liegt vielleicht weniger an der Zurückhaltung der Frauen zu diesem
Thema als vielmehr an den Text- und Bildinhalten, die im Netz kursieren.
Nehmen wir zum Beispiel das angeführte Angebot des Usenet, das Jörg
Schieb ausgewählt hat. Er stellt 26 Newsgroups vor, in denen es um
die unterschiedlichsten Formen von Sex und Erotik im Netz geht. Bei drei
von diesen 26 Newsgroups wird detailliert von dem Autor darauf hingewiesen,
daß auch Frauen an der Kommunikation teilnehmen. Bei den restlichen
Newsgroups geht es hauptsächlich um das Versenden von Bildmaterialien.
Daß Cyberpornos von Anfang an gern von den NetzbewohnerInnen besucht wurden, hatte seine Konsequenz: Verminderte Kapazitäten bei der Datenübertragung und verstopfte Leitungen. Aber anscheinend zweigen die Forschenden auf ihrer Reise über die Datenautobahn gerne einmal ab. Doch fahren zuviele bei der selben Abfahrt ab, schaffen dies die Großrechner nicht mehr. Was dann passiert, ist denkbar. Die Datenübertragung geht schleppend bis gar nicht mehr voran. Der Superstau. Grund für einige Einrichtungen - z.B. für Universitäten - bestimmte Foren aus dem Netzprogramm zu streichen.
Ständige Debatten innerhalb der Netzgemeinschaft über Sex
und Pornografie haben dazu beigetragen, daß sich Mechanismen der
Selbstkontrolle in Gang gesetzt haben, die jedoch keinerlei Einfluß
auf Kriminelle im Netz ausüben. So werden Kinderpornos meistens nur
noch über E-mail ausgetauscht, und daher ist diese Art von Verteilung
von den Betreibern und den Service-Providern nicht mehr kontrollierbar.
Schattenseiten wie diese lösen immer wieder Diskussionen rund um die
Auswirkungen einer Zensur im Netz aus. Doch oft genug schon haben voreilige
Sittenwächter, wenn sie zum Zug gekommen sind, kräftig danebengelangt.
Im November 1995 verschafft sich ein Müncher Staatsanwalt mit zehn
Beamten und einem Durchsuchungsbeschluß Zugang zur deutschen Zentrale
des Online-Dienstes CompuServe. Dieser sperrt daraufhin rund 200 Newsgroups
(alle, die sich - in welcher Art und Weise auch immer - mit Sex beschäftigen)
auf ihrem Zentralrechner in Columbus. „Die Crux: Der Zugang ließ
sich nur international sperren, nicht nur für deutsche Kunden, so
daß die Empörung entsprechend international war. Neben einem
knappen Dutzend Gruppen, in denen sich dem Namen nach tatsächlich
Kinderpornografie vermuten läßt, waren auch sämtliche Schwulen-Foren
des Gaynets betroffen, ebenso wie eine Gruppe, in der Frauen Hilfe nach
Vergewaltigungen angeboten wird. Auch eine Gruppe, die sich mit der Sexualtität
von Behinderten beschäftigt, wurde ungeniert geschlossen."
(Schieb, 1996, S. 127)
Autoregulative Maßnahmen können dazu beitragen, NetzbewohnerInnen,
die gewisse Grenzen überschritten haben, mit gezielten Aktionen auf
ihr Verhalten hinzuweisen. Zum Beispiel das Bombardieren der Mailbox -
dies wird den Provider auf den Plan rufen, welcher, „versiegt" der
Posteingang nicht, den Account sperrt.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit es im Netz
mit der Stellung der Frau aussieht. Ähnlich der in der „realen"
Welt oder genießt sie mehr Rechte und Würde? Wie auch in der
Welt außerhalb des Netzes hängt dies vom „Raum" ab. In
Bereichen, die von Männern dominiert werden - und das sind fast alle,
die nicht ausschließlich für Frauen zur Verfügung stehen
- kommt es genügend oft zu Übergriffen, gegen die mensch sich
wehren sollte. Denn auch im Netz versuchen Männer Frauen herabzusetzen
und zu entwürdigen. Und auch hier wird dies gern über die Sexualtität
der Frau versucht. Zensurmaßnahmen von außen sind sicherlich
keine Lösung. Autoregulative Maßnahmen stellen jedoch nur dann
eine Möglichkeit dar, wenn sich genügend NetzbewohnerInnen finden,
die sich gegen (i.d.F.) sexistische Verhaltensweisen gemeinsam auflehnen.
Aber gerade in jenen Bereichen, wo der Sexismus „blüht", sind
Frauen eher selten anzutreffen, und eine Kritik auszusprechen ist dementsprechend
schwierig. Das Ideal im Netz eine Sphäre vorzufinden, in der Grenzen
verschwimmen und verschwinden, scheint noch weit entfernt.
Im Internet stößt mensch wahrscheinlich auf ein ähnliches Angebot wie es auch im „realen" Leben zu finden ist, und darunter fällt auch Pornografie, Erotik und Sexualität. Das ist nichts Neues - bis auf die Tatsachen, daß pornografisches Material nicht mehr vorwiegend dem privaten Raum vorbehalten bleibt, und NetzbewohnerInnen die Möglichkeit haben - scheinbar relativ unkompliziert - mit Sex umzugehen. Das Bedürfnis sich über Sexuelles auszutauschen besteht, und dies in verschiedenen Varianten.
Bei einigen Angeboten scheint sich nur das Medium geändert zu haben.
So besteht heute nicht nur die Möglichkeit Pornografisches in gebundener
Form und auf herkömmlichen Bild- und Tonträgern zu konsumieren,
sondern auch über einen Netzanschluß. Der Weg zum Zeitungskiosk,
in die Videothek oder in den Sexshop muß mensch nicht mehr gehen.
Diese Variante erscheint beim ersten Hinsehen wesentlich anonymer. Schließlich
besteht die Möglichkeit körperlos und somit physisch nicht erkennbar
vor diversen virtuellen Schaufenstern zu verweilen. Obwohl mensch natürlich
genauso erkannt werden kann. So etwa über seine Kontonummer oder Kreditkartennummer,
die er bei der/m kommerziellen AnbieterIn angeben muß. Aber auch
eine gewisse Rückverfolgbarkeit über einen eingegebenen Suchbegriff
besteht.
Der Gedanke, nur über Daten gekannt zu werden, erscheint für
viele vielleicht angenehmer, als die Alternative, jederzeit auch physisch
erkennbar zu sein.
Ein reger Austausch herrscht auch von pornografischen Material über
Privatleute. Hinter diesen Newsgroups, in denen vor allem Bilder von Frauen
verteilt werden, steckt nicht nur grober Sexismus, sondern oft auch Rassismus.
So findet man Newsgroups für Fotos von Asiatinnen, Afrikanerinnen
etc.
Der Cyberspace kann auch zum Feld der Rache werden, z.B. dann, wenn ein
von seiner Frau verlassener Mann, ein Nacktfoto seiner „Ex" in den
passenden Foren dafür verteilt. Die Frau als Geächtete, am Cyberpranger,
dafür das sie ihren Mann verlassen hat. Die Frau als Ware, je nach
Nachfrage in der jeweiligen Position und Aufmachung, damit der Mann seine
Macht über sie deutlich demonstrieren kann. Die Frau als Repräsentationobjekt,
wie ein Auto hebt sie auch hier den „Wert" des Mannes bzw. unterstreicht
ihn.
Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, ob es sich bei den als Privatfotos
ausgegebenen Materialien wirklich um jene Frauen handelt, als die sie (Ehefrauen,
Freundinnen) von den Männer ausgegeben werden. Es ist keine große
Kunst mehr, sich einen künstlichen Traummenschen mittels Computer
zusammenzupuzzeln. Da kann sich plötzlich ein unscheinbarer, wenig
sicherer Mann die Frau zaubern, die ihm gefällt, aber viel mehr zählt
noch, er kann sie den InternetbewohnerInnen als seine Frau vorstellen,
das hebt seinen Wert und tröstet ihn vielleicht darüberhinaus,
daß sie nur emotionslos in seinem Bildschirm hockt.
Hinter diesem „aktiv werden" steht die Möglichkeit sich in
vielfältiger Art über sexuelle Belange auszutauschen. Dieser
Austausch, kann sehr verschieden aussehen - vom beratenden Gespräch
bis hin zu Sex-Talks (besser: Sex-Writing), wo es sehr konkret zur Sache
gehen kann. Es stellt sich die Frage nach dem Motiv: steckt dahinter eher
eine gewisse Neugierde, seine sexuellen Fantasien mit einer/m Unbekannten
auszutauschen und dabei selbst eine beliebige Rolle einnehmen zu können.
Oder handelt es sich um einen. Ersatz für etwas, das man in der Gesellschaft
nicht vorfindet. Ersatz für eine Gesellschaft, über deren Sexualität
und Liebe nicht selten noch das Tabu verhängt ist (homosexuelle Liebe,
weibliche Sexualität, Sexualität der Kinder etc.). Mit Sexualität
wird scheinbar zwanglos umgegangen - oft auf Kosten der Frauen, aber auch
der Männer. Aber dieser ständigen Thematisierung im Fernsehen,
den Printmedien und auf Plakatwänden, steht nicht unbedingt eine wachsende
sexuelle Aufgeschlossenheit gegenüber. Im Gegenteil, die Medien scheinen
hier weniger Spiegel der Gesellschaft zu sein. Sex wird eher eingesetzt,
um Umsätze, Einschaltequoten und Auflagezahlen zu steigern. In dem
Ausmaß, in dem Sex als bloßes „Potenzmittel" für
Fernsehshows, Werbungen etc. eingesetzt wird, in diesem Ausmaß wird
ihm nichts ernsthaftes entgegengesetzt, das dazu beitragen könnte
eine Aufgeschlossenheit zu fördern und mit alten Tabus zu brechen.
In diesem Sinne könnte die virtuelle Welt einen Ersatz darstellen.
Eine Welt zu finden, in der mensch nicht unbedingt an meinen Körper
gebunden bin. Vielleicht sieht mensch hier auch eine Möglichkeit sich
den vielen Variationen - die Sex bieten kann - spielerisch anzunähern
(z.B. Annehmen einer beliebigen Identität).
Sind die Menschen, die sich im Netz bewegen, dieselben wie im „realen"
Leben? Zumindest befinden sie sich in einer anderen Umwelt, in der sie
die Möglichkeit haben, sich anders als bisher zu verhalten. Ein wenig
erinnert es an das Phänomen, das oft im Urlaub auftritt und das von
vielen Menschen als Ausbruch aus ihrem Alltag gesehen wird. Sich so richtig
gehen lassen, keine Rücksicht nehmen müssen, ein/e andere/r sein
- eben eine andere Rolle einnehmen. Die alltäglichen Tabus und Reglementierungen
seiner eigenen Gesellschaft scheinen hier weniger in Kraft zu sein. Manche/r
meint, daß dieses Entdecken und Ausleben seiner verschiedenen Identitäten
im Netz positive Auswirkungen im „realen" Leben haben wird. Unter
Identität fällt auch die sexuelle Identität. Kann man das
Netz als eine Möglichkeit sehen, seine sexuelle Identität auszuprobieren,
um mit den gewonnen Erfahrungen seine eigene Sexualität besser zu
verstehen, was sich wiederum positiv auf Beziehungen auswirken könnte?
Oder beläßt mensch es bei mehr oder weniger langen Ausbrüchen
aus seiner Umwelt, um in der Cyberspacegemeinschaft unterzutauchen, und
dort seine Fantasien auszuleben, ohne daß dies auf ihn und seine
Umwelt weiterwirkt?
Viele Fragen müssen wohl noch ohne Antwort bleiben. Ein Prozeß, der gerade begonnen hat, kann oft nur Fragen aufwerfen, die erst die Zukunft zu beantworten vermag. Trotzdem soll dieser Abschnitt sich gerade mit diesen Gedanken beschäftigen: Welche Auswirkungen wird die virtuelle Welt auf unser Dasein, auf unsere Sexualität haben? Slavoj Zizek hat sich in seinem Aufsatz „Sex in Zeiten der virtuellen Realität" diese Fragen gestellt und wir haben einige Punkte seines Aufsatzes als „Sprungbett" in unseren Diskussionen verwendet.